Judo-Verband
Sachsen-Anhalt e.V.

 

 

Regenwetter – gutes Wetter!

Beitrag von Sebastian Lehmann (USC Magdeburg)

Der Morgen des 28. Juni 2014 begann wenig vielversprechend mit einem zehnminütigen Spaziergang zur Wettkampfstätte bei leichtem Regen. Sebastian Lehmann vom USC Magdeburg und drei weitere deutsche M1-Athleten (René Walter, -81kg, Dirk Lehmann, -100 kg, und Sebastian Bähr, +100 kg) bahnten sich ihren Weg durch Prag. Doch erst als die vier die Wettkampfhalle erreichten, sollte die richtige „Dusche“ kommen.

Ohne das Wissen der vier wurde der Wettkampf um eine halbe Stunde vorverlegt. Zu seinem Schrecken fand sich Sebastian auch direkt an erster Stelle auf der Videowand wieder, was bedeutete, er würde den ersten Kampf des Tages auf seiner Matte bestreiten. Ihm blieben zu diesem Zeitpunkt nur 20 Minuten bis zum Start. Zu allem Überfluss sollte er sofort auf einen Starter Russlands treffen – gerade jener Nation, die die Veteranen-Meisterschaften der letzten Jahre massiv bestimmt haben. Die Vorzeichen waren also denkbar schlecht. Doch scheinbar führte eben diese Konstellation, gepaart mit den vielen gesundheitsbedingten Trainingsausfällen in diesem Halbjahr, dazu, dass Sebastian völlig befreit auftrumpfen konnte. Denn nach einer zehntägigen Trainingspause vor der EM hatte Sebastian laut eigener Aussage „richtig Bock zu kämpfen!". Diese Einstellung sollte ihm an diesem Tag zum ganz großen Wurf verhelfen.

Denn nicht nur der Russe im ersten Kampf, der im Boden die entscheidende Wertung abgab, sondern auch der darauf folgende Ungar konnten Sebastian nicht stoppen. Somit stand Sebastian im Halbfinale, wo er auf einen weiteren Russen traf. Dieser Kampf war geprägt durch einen sehr intensiven Kampf um den besseren Griff, wobei eine Bestraffungsschlacht entbrannte. Beide Kontrahenten waren nicht in der Lage, den anderen zu werfen, und beim Stand von drei zu drei Shidos ging der Kampf in das Golden Score. Hier bemerkte Sebastian zunehmend den Trainingsrückstand. Am Rande einer Ohnmacht, kaum noch fähig selbstständig zu stehen, setzte Sebastian noch einmal einen Harai-goshi an. Was folgte, war für Sebastian selbst unfassbar: Der Russe, der zuvor minutenlang nicht zu werfen war, verlor sein Gleichgewicht und musste mit dem Rücken auf die Matte – eine hohe Wertung (Waza-ari) und der Einzug ins Finale waren das Ergebnis!

Auch im Finale sollte ein Russe auf Sebastian warten; dieser hatte sich aller seiner Kontrahenten in nur sehr kurzer Zeit entledigt. So schnell, dass Sebastian bis zuletzt nicht einmal wusste, wie er aussah. Weiterhin völlig befreit kämpfend, startete Sebastian das Finale mit sehr harter Kumikata und einer enormen physischen Präsenz. So musste der russische Starter auf Grund seines schlechteren Griffes und dem durch Sebastian aufgebauten Druck die Kampffläche verlassen, ein Shido war die Folge. Im weiteren Kampfverlauf brachten sich die beiden Finalgegner wiederholt aus dem Gleichgewicht, doch keine Aktion konnte eine Wertung nach sich ziehen, immer wieder vermochte es der jeweilige Uke auf dem Bauch zu landen. So entschied am Ende des Kampfes eben jener Shido aus den ersten 20 Sekunden den Kampf zu Sebastians Gunsten. Ein denkbar knapper Sieg machte Sebastian zum Europameister.

So bewahrheitete sich anscheinend eine Aussage von Sebastians Papa (Karl-Heinz Lehmann), der nämlich meinte: „Regen ist genau mein Wetter, da hab ich immer am besten gekämpft.“ Anscheinend war der Regen vom Morgen doch ein gutes Zeichen und Sebastian führt eine Familientradition fort.


 

Stand: 7. Juli 2014

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